Persönlichkeitsmodelle – ein Überblick

I. Persönlichkeitsmodelle

Am Anfang der Recherche zum Thema Persönlichkeitsmodelle stellte ich mir die Frage, warum eigentlich wir danach streben, Menschen in Typen zu klassifizieren? Machen wir es uns nicht zu leicht, die menschliche Persönlichkeit in Schubladen zu stecken?

Heutzutage sind Individualismus und Vielfalt sehr wichtig. Vor diesem Hintergrund wirkt es anachronistisch, sich auf vereinfachende Typenlehren zu berufen. Trotzdem genießen Persönlichkeitsmodelle ein hohes Ansehen. Warum ist das so? Die Antwort ist einfach: Klassifizierungen und Typologien verhelfen zu einem schnelleren Durchblick in komplexeren Sachverhalten. So finden Persönlichkeitsmodelle in verschiedenen Bereichen, darunter Psychologie, Personalwesen, Teamentwicklung und Coaching eine praktische Anwendung, um ein besseres Verständnis für individuelle Unterschiede zu schaffen und die Interaktionen zwischen Menschen zu verbessern. Sie ermöglichen es, Verhalten vorherzusagen, Kommunikationsstile zu optimieren und effektive Teamdynamiken zu fördern. In der Personalentwicklung werden sie für die Entwicklung von Teambildungsstrategien, Führungstraining und -entwicklung genutzt. Sie ermöglichen es, die individuellen Stärken und Schwächen der Teammitglieder besser zu verstehen und gezielt zu fördern. Im Alltag tragen sie zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten bei und bieten Ansätze zur Konfliktlösung in persönlichen Beziehungen. Indem man die verschiedenen Persönlichkeitstypen kennt, kann man besser auf die Bedürfnisse und Verhaltensweisen anderer eingehen und zu einer gelingenden Kommunikation beitragen.

Ziel dieses Blogbeitrags ist es, über unterschiedliche Persönlichkeitsmodelle zu informieren und deren Anwendung in verschiedenen Bereichen grob aufzuzeigen. Der Beitrag hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeitsmodelle

Schon vor Jahrtausenden wurde versucht, die Menschen nach bestimmten Kriterien in Persönlichkeitstypen zu klassifizieren. Am Anfang wurden die Sterne befragt – die Astrologie versprach Zukunftsprognosen und benutzte die Konstellation der Sternen bei der Geburt dafür. Je nach Sternenkonstellation sollen Menschen verschiedene charakteristische Merkmale aufweisen, die zukunftsweisend wirken.

Ein frühes historisches Beispiel für Persönlichkeitstypologisierung aus der Antike ist die Theorie der Körpersäfte nach Galenos, die Menschen anhand ihres Temperaments und der dominanten Körperflüssigkeit in Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker und Phlegmatiker differenziert. Die Terminologie dieser Differenzierung benutzen wir noch heute, um verschiedene Temperamente zu beschreiben.

Zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erklärte Sigmund Freud die Persönlichkeit durch den Einfluss innerer Triebe und deren Verarbeitung. Mit seinem Modell des Ich, Es und Über-Ich legte Freud den Grundstein für die moderne Psychoanalyse und vertrat die Ansicht, dass jedes Verhalten eine tiefere Bedeutung hat, die oft in der Vergangenheit der Person verwurzelt ist. Diese Theorie wiederum wurde die Basis für spätere Entwicklungen in der Persönlichkeitspsychologie und beeinflusste zahlreiche Forscher und Theoretiker, darunter Carl Jung, Alfred Adler, Erik Erikson, Hans Eysenck und Ernst Kretschmer. Die Persönlichkeitsmodelle gewinnen nach und nach durch verschiedene theoretische Aspekte an Komplexität. Die antike Typenlehre nach Galenus wird ergänzt durch die Dimensionen „Extraversion-Introversion“ von C. G. Jung, die ihrerseits durch die „emotionale Stabilität-Labilität“ von Eysenck ergänzt wird.

Definition

„Unter „Persönlichkeitstheoretischen Grundmodellen“ sind jene übergeordneten Persönlichkeitstheorien zu verstehen, die menschliche Verhaltensweisen und der Aufbau der Persönlichkeit modellhaft zu erklären versuchen“ (Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, Walter Simon, 2006, S. 18).

Heute existieren zahlreiche Persönlichkeitsmodelle, die verwendet werden, um menschliches Verhalten, Gedanken und Emotionen zu verstehen und zu beschreiben. Sie dienen dazu, individuelle Unterschiede in der Persönlichkeit systematisch zu klassifizieren und zu analysieren.

Die Erarbeitung von Persönlichkeitsmodellen ist ein interdisziplinäres Feld, das verschiedene Wissenschaften und Forschungsrichtungen zusammenbringt. Zu den wichtigsten Disziplinen, die an der Entwicklung und Analyse von Persönlichkeitsmodellen beteiligt sind, gehören:

  1. Psychologie: Die zentrale Disziplin, die Persönlichkeit erforscht, insbesondere die Bereiche der Persönlichkeitspsychologie und der Entwicklungspsychologie. Psychologen führen empirische Studien durch und entwickeln Theorien, um menschliches Verhalten und individuelle Unterschiede zu verstehen.
  2. Soziologie: Untersucht, wie soziale Strukturen, Gruppen und Interaktionen die Persönlichkeitsentwicklung und -verhalten beeinflussen. Soziologie berücksichtigt den sozialen Kontext und die kulturellen Faktoren, die die Persönlichkeit formen.
  3. Biologie: Insbesondere die Verhaltensbiologie und Neurobiologie untersuchen die biologischen Grundlagen der Persönlichkeit. Aspekte wie Genetik, Hormone und das Nervensystem spielen eine wichtige Rolle bei der Ausprägung von Persönlichkeitsmerkmalen.
  4. Kognitive Wissenschaften: Diese Disziplinen, einschließlich der Kognitionspsychologie und der Neurowissenschaften, analysieren, wie kognitive Prozesse wie Denken, Lernen und Gedächtnis die Persönlichkeit beeinflussen und wie wir Informationen verarbeiten.
  5. Anthropologie: Studiert kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse auf die Persönlichkeit und berücksichtigt, wie verschiedene Kulturen unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale priorisieren oder fördern.
  6. Philosophie: Lieferte historische und theoretische Grundlagen für das Verständnis von Identität, Charakter und Moralphilosophie, die in die Debatte über Persönlichkeit einfließen.
  7. Erziehungswissenschaften: Untersuchen, wie Bildungs- und Lernumgebungen die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen und welche Rolle Erziehungsmethoden dabei spielen.
  8. Verhaltensökonomie: Analysiert, wie psychologische Faktoren und Persönlichkeitsmerkmale wirtschaftliche Entscheidungen beeinflussen können, einschließlich der Auswirkungen auf Konsumverhalten und Teamarbeit. Durch die Zusammenarbeit dieser Disziplinen kann ein umfassenderes Verständnis von Persönlichkeitsmodellen erreicht werden, das sowohl biologische als auch soziale, kognitive und kulturelle Aspekte berücksichtigt.

II. Übersicht über die verschiedenen Persönlichkeitsmodelle und ihre Klassifizierung

Die Persönlichkeitsmodelle basieren auf einer Vielzahl von Faktoren, darunter psychologische, soziale und biologische Einflüsse. Sie werden in typologische und dimensionale Persönlichkeitsmodelle eingeteilt und bieten unterschiedliche Ansätze zur Beschreibung und Klassifizierung der menschlichen Persönlichkeit.

Die typologischen Modelle bieten eine klare, kategorische Einteilung von Persönlichkeiten, was es einfacher machen kann, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale schnell zu identifizieren. Sie sind jedoch oft weniger flexibel und können die Vielschichtigkeit der menschlichen Persönlichkeit weniger gut erfassen.

Die dimensionalen Modelle betrachten die Persönlichkeit als Kontinuum und messen individuelle Unterschiede entlang verschiedener Dimensionen. Dies ermöglicht eine feinere und nuanciertere Beschreibung der Persönlichkeit, ist jedoch komplexer und erfordert oft umfassendere Tests. Beide Ansätze haben ihre Vorteile und ihre Anwendung hängt oft vom spezifischen Kontext und den Zielen der Persönlichkeitsbewertung ab.

A. Typologische Persönlichkeitsmodelle

Die typologischen Modelle klassifizieren Personen in spezifische Kategorien oder Typen, die durch definierte Merkmale oder Verhaltensweisen charakterisiert sind. Das älteste typologische Modell ist die Temperamentenlehre nach Galenus. Aktuelle Beispiele sind:

  1. Myers-Briggs Typindikator (MBTI): Basierend auf Carl Jungs Theorien klassifiziert der MBTI Persönlichkeiten in 16 verschiedene Typen durch die Kombination von vier Dichotomien: Extraversion vs. Introversion, Intuition vs. Empfindung, Denken vs. Fühlen, und Beurteilen vs. Wahrnehmen.
  2. DISG-Modell: Identifiziert vier Haupttypen (Dominant, Initiativ, Stetig, Gewissenhaft) und hebt individuelle Stile der Kommunikation und Interaktion hervor. Menschen werden in festgelegte Gruppen kategorisiert. Das Modell findet Anwendung in Personalentwicklungen, Teambuilding und Coaching, um individuelle Stärken und Schwächen in bestimmten Rollen zu erkennen. Es bietet einen klaren Überblick über verschiedene Persönlichkeitstypen und deren typische Verhaltensweisen.
  3. Enneagramm: Es ist ein Modell mit neun unterschiedlichen Persönlichkeitstypen, die in einer kreisförmigen Struktur angeordnet sind. Jeder Typ hat spezifische Verhaltensmuster und Denkweisen. Während einige moderne Interpretationen des Enneagramms Aspekte dimensionaler Modelle einbeziehen, bleibt es primär ein typologisches Modell.
  4. Insights: Es basiert auch auf der Typologie von Carl Gustav Jung und kategorisiert Persönlichkeiten in verschiedene Typen anhand von vier Hauptfarbenergien (Blau, Grün, Gelb, Rot).  Blau (logisch, analytisch, introvertiert), Grün (einfühlsam, harmonisch, kooperativ), Gelb (optimistisch, energisch, extrovertiert), Rot (direkt, entschlossen, ergebnisorientiert). Jede Person hat eine einzigartige Mischung dieser Farbenergien. Das Modell hilft dabei, die eigenen Stärken und Schwächen zu verstehen und die Kommunikation und Zusammenarbeit in Teams zu verbessern.

B. Dimensionale Persönlichkeitsmodelle

Die dimensionalen Modelle beschreiben die Persönlichkeit als ein Kontinuum, das durch verschiedene Eigenschaften charakterisiert wird. Menschen können entlang dieser Dimensionen positioniert werden.

  1. Big Five (OCEAN-Modell) mit folgenden Dimensionen: Openness to Experience (Offenheit für Erfahrungen), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Extraversion (Extraversion), Agreeableness (Verträglichkeit), Neuroticism (Neurotizismus)
  2. HEXACO-Modell mit folgenden sechs Dimensionen: Honesty-Humility (Ehrlichkeit-Bescheidenheit), Emotionality (Emotionalität), Extraversion (Extraversion), Agreeableness (Verträglichkeit), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Openness to Experience (Offenheit für Erfahrungen)
  3. Alternative Five (Zuckerman’s Modell) mit folgenden fünf Dimensionen: Impulsive Sensation Seeking (Impulsives Sensationssuchen), Neuroticism-Anxiety (Neurotizismus-Angst), Aggression-Hostility (Aggression-Feindseligkeit), Sociability (Geselligkeit), Activity (Aktivität)
  4. Five-Factor Personality Inventory (FFPI) mit folgenden Dimensionen: Extraversion (Extraversion), Agreeableness (Verträglichkeit), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit), Emotional Stability (Emotionale Stabilität), Autonomy (Autonomie)
  5. Five-Factor Model (Costa & McCrae) mit folgenden Dimensionen: Neuroticism (Neurotizismus), Extraversion (Extraversion), Openness to Experience (Offenheit für Erfahrungen), Agreeableness (Verträglichkeit), Conscientiousness (Gewissenhaftigkeit)

Weitere dimensionalen Modelle sind ID-37- Modell, OutMatch ASSESS by Scheelen, DNLA the discovery of natural latent abilities, Hermann Brain Dominance Instrument (HBDI), LEA Leadership Effectiveness Analysis, LIFO-Modelle, Das Team Management Profil (TMP), die Biostruktur-Analyse mit Structogram und Triogramm, Reiss Profile usw.. Jedes dieser Modelle bietet verschiedene Perspektiven auf die Komplexität der menschlichen Persönlichkeit. Die dimensionalen Modelle basieren auf empirischer Forschung und statistischen Analysen.

Bei einer kritischen Betrachtung fallen zwei Schwächen der dimensionalen Modelle auf.

  • Für Laien kann die Interpretation der Ergebnisse durch ihre Komplexität schwierig sein, da die Dimensionen weniger intuitiv sind als klare Typen.
  • Persönlichkeiten können sich im Laufe der Zeit und in unterschiedlichen Kontexten ändern, was die Stabilität der Eigenschaften infrage stellen kann.

Beide Ansätze – typologische Modelle und dimensionale Modelle – bieten wertvolle Einblicke in die menschliche Persönlichkeit, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Während typologische Modelle eine klare und einfache Kategorisierung ermöglichen, bieten dimensionale Modelle eine nuancierte und flexiblere Sichtweise auf die Vielfalt menschlicher Persönlichkeiten. Die Wahl zwischen diesen Modellen hängt oft von den spezifischen Bedürfnissen der Anwendung ab, sei es in der Psychologie, Personalentwicklung oder anderen Bereichen der sozialen Interaktion.

III. Fazit

Die Persönlichkeitsmodelle finden eine Anwendung in der Psychologie zum Verständnis von Verhalten und Motivation. Sie beweisen ihre Nützlichkeit auch im Berufsleben als Tool und Basis für Teamentwicklung, Führungskommunikation und Konfliktmanagement. Sie können in vielen anderen Feldern des Berufsalltags angewendet werden. Im persönlicher Hinsicht dienen die Persönlichkeitsmodelle als eine Basis für persönliches Wachstum, für Selbstreflexion und Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Persönlichkeitstypologien genießen einen hohen Ansehen, weil sie es uns ermöglichen, zwischenmenschliche Beziehungen, Konfliktsituationen, Menschenverhalten, Team-Dynamiken und interaktive Sachverhalte mit größerer Komplexität gründlich analysieren zu können. Ihre Anwendung bietet ein wertvolles Werkzeug zur Persönlichkeitsentwicklung.

Wissenschaftliche Debatten und Herausforderungen bestehen jedoch hinsichtlich ihrer Validität und Reliabilität. Kritiker argumentieren, dass Persönlichkeitsmodelle oft zu stark vereinfachen und zur Stereotypisierung führen können. Es besteht die Gefahr des Missbrauchs, wenn Persönlichkeitsmerkmale zur Rechtfertigung von Vorurteilen oder Diskriminierung herangezogen werden. Daher ist es wichtig, diese Modelle kritisch zu betrachten und ihre Anwendung sorgfältig zu evaluieren.

Für meine Arbeit mit Apothekenteams in unterschiedlicher Größe sind Persönlichkeitsmodelle ein hilfreiches Tool. Situativ und nach Absprache mit der Teamleitung entscheide ich mich für oder gegen ihrer Anwendung. Es ist aber auch eine Frage des Budgets. Ich habe mich entschieden, externe Unterstützung zu suchen und arbeite mit einem ID37-Master zusammen. Mehr über das Persönlichkeitsmodell ID 37 erfahren Sie in einem separaten Blogbeitrag.

Quellen

  • The Handbook of Personality: Theory and Research, 2001,12 Oliver P. John, Richard W. Robins und Lawrence A. Pervin
  • Persönlichkeitsmodelle und Persönlichkeitstests, 2006, Herausgeber Walter Simon

 

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